Atomares Gas jenseits des absoluten Nullpunkts

Deutsche Physiker erschaffen ein System, das scheinbar physikalischen Gesetzen widerspricht
Heiße Minusgrade: Bei einer negativen absoluten Temperatur (rote Kugeln) kehrt sich die Energieverteilung von Teilchen im Vergleich zur positiven Temperatur (blaue Kugeln) um. Dann weisen viele Teilchen eine hohe und wenige eine niedrige Energie auf. Das entspricht einer negativen absoluten Temperatur, die heißer ist  als eine unendlich hohe Temperatur, bei der sich die Teilchen über alle Energien gleich verteilen.
Heiße Minusgrade: Bei einer negativen absoluten Temperatur (rote Kugeln) kehrt sich die Energieverteilung von Teilchen im Vergleich zur positiven Temperatur (blaue Kugeln) um. Dann weisen viele Teilchen eine hohe und wenige eine niedrige Energie auf. Das entspricht einer negativen absoluten Temperatur, die heißer ist als eine unendlich hohe Temperatur, bei der sich die Teilchen über alle Energien gleich verteilen.
© LMU/MPQ
Garching - Im Winter sind Minusgrade auf der Celsiusskala nichts Ungewöhnliches. Doch Physiker messen die Temperatur in Kelvin, die bisher nur positive Gradzahlen kennt. Doch in München gelang nun der Sprung unter null Kelvin (-273 Grad Celsius) mit einem System aus Kaliumatomen. Das atomare Gas zeigte ein Verhalten, das sich nur noch mit einer negativen absoluten Temperatur beschreiben ließ. Wie die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Science“ berichten, liegt der Grund in der Definition der absoluten Temperatur. Denn diese erfasst nicht nur, ob ein System wärmer oder kälter ist, sondern beruht auch auf der Verteilung der Bewegungsenergie von unterschiedlich schnellen Gasatomen. Negative absolute Temperaturen bringen verblüffende Folgen mit sich. So ermöglichen sie theoretisch sogar Maschinen, die mit mehr als hundert Prozent Wirkungsgrad arbeiten könnten.

Die geltende Grundregel, dass nichts kälter ist als der absolute Nullpunkt der Kelvin-Skala, stellte das Team am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching dennoch nicht auf den Kopf. „Das Gas ist sogar heißer als bei jeder beliebigen positiven Temperatur – die Temperaturskala hört bei unendlich einfach noch nicht auf, sondern springt zu negativen Werten“, sagt Ulrich Schneider. Auf den ersten Blick klingt das paradox. Doch lässt sich dieser scheinbare Widerspruch mit dem Blick auf die sogenannte Boltzmann-Verteilung auflösen. Diese Formel beschreibt, dass sich bei positiven Werten auf der Kelvinskala die meisten Atome in einem Gas langsam und nur ganz wenige sehr schnell bewegen. In ihrem Labor schufen Schneider und Kollegen nun aber ein System, in dem dieses Verhältnis genau umgedreht wurde. „Die umgekehrte Boltzmann-Verteilung ist genau das, was eine negative absolute Temperatur ausmacht, und die haben wir erreicht“, sagt Schneider.

Möglich wurde dieser Kunstgriff mit einer tiefgekühlten Gaswolke aus Kaliumatomen. Schneider und Kollegen fingen die nur wenige Milliardstel Kelvin kalten Atome in einer optischen Falle aus Laserstrahlen ein. Umgeben von einem isolierenden Vakuum bauten sie eine Hürde für die maximal mögliche Gesamtenergie für dieses System auf. Nun konnten sehr viele Atome nah an diese obere Grenze heranreichen, wenige dagegen nahmen tiefere Energiewerte an. Die Folge: die jeweiligen Energiewerte gemäß der Boltzmann-Verteilung für positive Kelvinwerte wurde auf den Kopf gestellt. Nur mit negativen Werten von minus einigen Milliardstel Kelvin konnte diese Energieverteilung der Gasatome beschrieben werden.

Dieses Grundlagenexperiment zeigt aber nicht nur einen Sonderfall für die Definition der Temperatur über die Bewegungsenergie von Gasatomen. Denn Materie bei negativer absoluter Temperatur führt auch zu verblüffenden Konsequenzen bei technischen Anwendungen. So ließen sich theoretisch Motoren bauen, deren Effizienz über hundert Prozent beträgt, ohne den Energieerhaltungssatz zu verletzen. Dazu müsste die Maschine im Unterschied zum üblichen Fall nicht nur Energie aus einem heißen Medium ziehen und damit Arbeit verrichten, sondern auch aus dem kalten. Die Arbeit, die die Maschine leisten kann, ist somit größer als die Energie, die nur dem heißen Medium entnommen wird – die Effizienz liegt damit – rein rechnerisch – bei mehr als hundert Prozent.

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