Alte Formulierung der Unschärferelation widerlegt

Nur die moderne Variante hält der experimentellen Überprüfung stand
Lee Rozema und Dylan Mahler justieren die Optik.
Lee Rozema und Dylan Mahler justieren die Optik.
© A. Steinberg et al.
Toronto (Kanada) - Die Heisenbergsche Unschärferelation ist eine zentrale Formel der modernen Physik. Neben Einsteins e=mc2 ist sie eine der wenigen Gleichungen, in denen sich ein Umbruch des naturwissenschaftlichen Weltbildes ausdrückt. Es ist deshalb immer überraschend, wenn eine solch wichtige Formel in ihrer Allgemeingültigkeit eingeschränkt wird. Kanadische Physiker berichten im Fachblatt "Physical Review Letters" nun von ihren Experimenten, mit denen sie den Nachweis führen konnten, dass zwischen unterschiedlichen Anwendungen der Unschärferelation unterschieden werden muss und dass eine modifizierte Formel für die übliche Darstellung des Problems der Unschärfe zu gelten hat. Theoretische Vorarbeiten hatten bereits gezeigt, dass die alte Lehrbuchvariante der Heisenbergschen Unschärferelation nicht in voller Allgemeingültigkeit haltbar ist und durch eine neuere Formulierung ersetzt werden sollte.

„Ich finde es faszinierend zu sehen, dass die gängigste Weise, wie wir das Heisenbergsche Unschärfeprinzip seit fast einem Jahrhundert beschreiben, streng genommen falsch ist!“ schreibt Aephraim Steinberg von der Universität Toronto. „Dabei ist die Tatsache, dass Unschärfe wesentlich zur Natur gehört, eine der größten und verblüffendsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts.“ Das Entscheidende an der Kritik der Unschärferelation ist hierbei, dass diese Formel eigentlich in zwei Varianten auftritt, von denen eine durch die neuen Erkenntnisse unberührt bleibt, während die zweite modifiziert werden muss.

Die erste, allgemein gültige Variante besagt, dass ein quantenphysikalisches System nicht gleichzeitig scharfe Werte in bestimmten, miteinander unverträglichen Eigenschaften besitzen kann. So kann ein winziges Teilchen wie beispielsweise ein Elektron nicht zugleich einen wohldefinierten Ort und eine wohldefinierte Geschwindigkeit besitzen. Diese Art der Unschärfe ist unstrittig und führt zu weitreichenden Folgen für Physik, Chemie und Philosophie.

Die Unschärferelation wird jedoch häufig in der zweiten Variante vorgestellt. Diese Version der Unschärferelation ist leicht verschieden von der ersten und muss nun revidiert werden. In ihr wird nicht der Zustand der Quantensystems unabhängig von einer Messung betrachtet, sondern die Beeinflussung eines solchen Systems durch eine Messung. Um eine bestimmte Messgröße zu bestimmen, muss dass Messobjekt einer Wechselwirkung mit einem Messgerät ausgesetzt werden. Durch diese Wechselwirkung wird das zu messende System gestört, vielleicht nur minimal, aber doch zu einem bestimmten Mindestmaß.

Dieses Mindestmaß wurde bislang üblicherweise durch die Heisenbergsche Unschärferelation angegeben. Wie die neuen quantenoptischen Experimente zeigen, lässt sich dieses Mindestmaß aber durch bestimmte Messungen unterbieten. „Obwohl Messungen Systeme stören, ist die fundamentale Grenze, wie wenig sie ein solches System stören können, nicht so stark, wie Heisenberg ursprünglich dachte“, berichtet Steinberg. Dies liegt daran, dass man über sogenannte „schwache Messungen“, mit denen ein System sozusagen nur indirekt gemessen und kaum gestört wird, doch Informationen über ein Quantensystem erhalten kann. Die Forscher konnten mit ihrem Aufbau, der Methoden aus dem Quantencomputing beinhaltet, diese Möglichkeit ausreizen.

In der revidierten Form der Unschärferelation, die der Japaner Masanao Ozawa schon vor Jahren vorgeschlagen hat, fällt die notwendige minimale Unschärfe deshalb geringer aus als bislang gedacht. In den nun durchgeführten Experimenten bestätigten sich die Vorhersagen von Ozawa, während die alte Lehrbuchversion der Unschärferelation deutlich verletzt wurde.

Die neuen Erkenntnisse haben eine ganze Reihe interessanter Folgerungen. Nicht nur die Autoren von Quantenphysik-Lehrbüchern oder Vorlesungen werden aufhorchen. Auch für Wissenschaftsphilosophen tut sich hier ein neues Feld zum Verständnis des Mikrokosmos auf.

Ganz besonders hellhörig werden aber die Geheimdienste werden, denn die sogenannte Quantenkryptographie verspricht absolut sichere Datenübertragung. Wenn ein Lauscher versucht, ein Quant bei einer Übertragung mitzulesen, wird durch die Wechselwirkung mit dem Messgerät dieses Quant verfälscht, was der Empfänger mitbekommt. Wenn laut der neuen Form der Unschärferelation die Beeinflussung eines Signals aber schwächer sein kann als bislang gedacht, dann verschieben sich auch die Anforderungen an die Übertragungstechnik und an die Sicherheit der Geheimdienstmeldungen.

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