Abmagerung als Reaktion auf Sauerstoffmangel könnte nützlich sein

Muskel- und Fettabbau setzen Verbindungen frei, die den Körper möglicherweise vor Schäden bewahren
Himalaya-Region von Ladakh (Nordindien)
Himalaya-Region von Ladakh (Nordindien)
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Cambridge (Großbritannien) - In extremen Höhenlagen leidet der Mensch – sofern er nicht daran angepasst ist – unter Sauerstoffmangel. Bei längerem Aufenthalt in Höhen ab 5.000 Metern über dem Meeresspiegel führt das zu einer starken Abmagerung. Dieser Verlust an Muskel- und Fettmasse wurde bisher als Folge einer gestörten Regulation des Stoffwechsels angesehen. Jetzt schlagen britische Forscher eine ganz andere Erklärung vor: Demnach löst der Sauerstoffmangel koordinierte Reaktionen aus, die den Körper – zumindest vorübergehend – schützen sollen. Der Abbau von Protein und Fett setzt Verbindungen frei, die die Energieversorgung verbessern und Zellschäden verhindern könnten, schreiben die Wissenschaftler als Hypothese im Fachblatt „BioEssays”. Auch bei chronischen Lungen- und Herzkrankheiten und anderen Erkrankungen, die mit einer verminderten Sauerstoffversorgung verbunden sind, könnte diese Schutzreaktion eine Rolle spielen und eventuell therapeutisch genutzt werden.

„Gewichtsverlust in großer Höhe ist möglicherweise auf eine evolutionäre Anpassung zurückzuführen“, sagt Andrew Murray von der University of Cambridge. „Diese beruhte ursprünglich auf einer Schutzreaktion des Körpers, wenn ein Gewebe nach Verletzung oder Krankheit von Sauerstoffmangel betroffen ist.“ Zusammen mit Hugh Montgomery vom University College London erläutert er eine Hypothese, die auch für chronisch kranke Patienten von Bedeutung sein könnte. In einigen Fällen führen Appetitlosigkeit und starke Abmagerung durch Abbau der Muskelmasse zur Auszehrung, einer sogenannten Kachexie. Diese lässt sich auch durch künstliche Kalorienzufuhr nicht aufhalten.

Zumindest kurzfristig könnte eine Kachexie jedoch sogar von Vorteil sein, erklären die Autoren: Denn beim Abbau von Muskelproteinen und Fett entstehen Aminosäuren und Ketone. Diese Stoffwechselprodukte verbessern die Effizienz der Energiegewinnung in den Mitochondrien – insbesondere in Herz und Gehirn – und verringern gleichzeitig die Bildung zellschädigender hochreaktiver Sauerstoffverbindungen. Es sei denkbar, dass die Verabreichung von Ketonen und bestimmten Aminosäuren therapeutisch von Nutzen ist, weil der Körper dann weniger Muskelmasse abbauen muss, um diese Verbindungen zu erzeugen, so die Forscher. Um die Wirksamkeit einer solchen Behandlung und damit die aufgestellte Hypothese zu prüfen, seien nun kontrollierte Studien nötig.

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